Chester Arthur Phillips

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Das Werk "Bank Credit[1] A Study of the Principles and Factors Underlying Advances Made by Banks To Borrowers" wurde von Chester Arthur Phillips 1920 veröffentlicht.

Auf ihn und sein Werk "Bank Credit" wird auch heute noch, die als "multiple Giralgeldschöpfung" in der Wirtschaftstheorie bekannte Ausweitung der Kreditvergabe zurückgeführt. Teilweise ist auch der Begriff "Phillipsmultiplikator" anzutreffen, welcher ihn als Urheber dieser Berechnungsmethode identifiziert.

Vielfach wird heute die Meinung vertreten, dass die Theorie der multiplen Geldschöpfung nach Phillips irreführend sei. Bernd Senf beschreibt die, auf dieser Theorie basierende Erklärung des Geldschöpfungsmultiplikators in seinem Buch, "Der Nebel um das Geld" als falsch.[2] Auch Friedrich A. Lutz greift die Darstellung der Überschussreserven als Grundvoraussetzung zur Vergabe zusätzlicher Kredite an.[3] Die Bundesbank hat in Ihrer Schrift "Geld und Geldpolitik - Schülerbuch für die Sekundarstufe II" [4] die Theorie der "multiplen Giralgeldschöpfung", aufbauend auf der "multiplen Geldschöpfung" nach Phillips, mittlerweile komplett herausgenommen.

Thema und Zielsetzung

In erster Linie versucht Phillips in Teil 1 seines Werkes zu beweisen, dass seine Behauptung der eingeschränkten Darlehenskapazität einer Einzelbank richtig sei. Das gesamte Bankensystem könne zwar ein Vielfältiges des eingelegten Bargeldes als Darlehen gewähren, wohingegen die Einzelbank Darlehen nur geringfügig über den Betrag der Einlagen ausdehnen könne.

Zum Beweis seiner These entwickelt Phillips Formeln, basierend auf geometrischen Reihenentwicklungen. Zweifelhaft erscheinen jedoch die Grundannahmen seiner Modelle. Und doch haben seine Modelle und Berechnungen Eingang in die einschlägige Fachliteratur gefunden und werden auch heute noch an vielen Hochschulen gelehrt. Eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Grundannahmen hat auf wissenschaftlicher Ebene bisher kaum stattgefunden. Der Analyse seiner Thesen dient die nachfolgende Ausarbeitung.

Hierzu werden Ausschnitte aus seinem Buch "Bank Credit"[5]zitiert und Schaubilder wiedergegeben. Es wird untersucht, welche seiner Thesen einer logischen Untersuchung standhalten.

Hinweise

Um Aussagen Phillips von anderem Text zu unterscheiden, wurden diese mit einem vertikalen, grauen Strich am Zeilenanfang gekennzeichnet.

Wörtliche oder sinngemäße Aussagen von Phillips.

Wichtige Passagen werden zusätzlich in einem blauen Kasten dargestellt.

Angelsächsische Buchungsmethode

Bei der Kreditbereitstellung geht Phillips von der angelsächsischen Buchungsmethode, auch englische Buchungsmethode genannt, aus. Wird ein Kredit gewährt, wird auch gleich die Kreditsumme in der Buchhaltung erfasst. Ein Kredit über 1000 Geldeinheiten führt sofort zu einem Guthaben von 1000 Geldeinheiten wie auch zu einer Schuld von 1000 Geldeinheiten. Überziehungskreditrahmen sind hiervon ausgenommen. Die kontinentale Buchungsmethode dagegen setzt erst einen Abruf der vereinbarten Kreditsumme voraus, bevor es zu Guthaben und Schulden kommt.


Traditionelle Theorie

Die damals (vor 1920) von namhaften Ökonomen vertretene Meinung, das sowohl die Einzelbank wie auch das Bankensystem in der Lage sei, ein Mehrfaches der hinterlegten Barreserven als Darlehen in Umlauf zu bringen, wird von Phillips bestritten. Eine strenge Unterscheidung hielt er deshalb für unerlässlich.

"Das Hauptanliegen des vorliegenden Kapitels liegt darin, eine scharfe Trennlinie zwischen der Kreditvergabe einer einzelnen Bank und der Kreditvergabe des Bankenverbundes zu ziehen." [Seite 32]

"In diesem Kapitel ist durchgehend der Begriff Bargeld in einem weiten Sinne, gleichbedeutend mit Reserve zu verstehen und dabei wird keine Unterscheidung zwischen Schecks, Wechseln usw., welche in Bargeld getauscht werden können und dem Bargeld selbst, gemacht."

"Es macht keinen wesentlichen Unterschied für die Bank, [Seite 33] wodurch zusätzliche Einlagen entstehen, ob auf Grundlage von gesetzlichem Geld oder durch verschiedene Kreditformen, Banknoten, Schecks, Wechsel, welche leicht in gesetzliches Geld umgetauscht werden können. Es wird schon lange beobachtet, dass die Banken in einem bestimmten Kreditbereich, z.B. in den USA, in der Lage sind, Kredite zu vermehren, d. h. Kredite in mehrfacher Höhe ihrer Reserven auszugeben und es wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass das, was für die Summe der Banken gilt, auch für die Einzelbank gilt und diese Schlussfolgerung wurde durch die beobachtete Tatsache gestützt, dass in der Bilanz bei jeder gezeigten einzelne Bank der Anteil an Krediten die mehrfache Summe der Reserve beträgt. Aus der Beobachtung, dass bei einer einzelnen Bank wie auch bei allen Banken gemeinsam, gewöhnlich die Höhe der Darlehen ein Vielfaches der Reserve beträgt, schließen die Theoretiker, das eine Erhöhung der Reserve einer Einzelbank diese in die Lage versetzt, ein Vielfaches an Darlehen zu vergeben."

"Gemäß der alten Theorie kann eine Bank, welche $100.000 Bargeld besitzt, und ein Darlehn von $1.000.000 vergeben hat, durch den Erhalt von weiteren $100.000 in die Lage versetzt werden, weitere Darlehn in Höhe von $1.000.000 hinzuzufügen. Diese Argumentation lässt jedoch bestimmte Folgen der Darlehnserhöhung außer Acht, auf welche später in diesem Kapitel noch verwiesen wird. Wir können als These, welche noch zu belegen ist, jetzt festhalten, dass der Erwerb von zusätzlichen [Seite 34] primären Einlagen eine Einzelbank in die Lage versetzt, ihr Darlehn nur ein wenig über den Betrag dieser Einlage auszudehnen."

"Aber wie kann eine bestimmte Menge Bargeld die Grundlage für vielfältige Darlehn und Einlagen in einem Bankensystem werden, wenn die gleiche Einlagemenge bei einer Einzelbank kaum oder nur sehr wenig vermehrt werden kann. Das ist das Rätsel des Bankensystems und dieses Kapitel ist hauptsächlich dessen Lösung gewidmet. Eine Erklärung und kritische Darstellung dieser althergebrachten Theorie, konsequent überliefert seit den Tagen von Alexander Hamilton bis in die Gegenwart, wird als aussichtsreicher Ausgangspunkt dienen."

"Horace White, Macleod folgend, hat im Wesentlichen die gleiche Erklärung in den verschiedenen Ausgaben von „Money and Banking“, welche weitgehend als Texte an unseren Hochschulen und Universitäten benutzt werden. Die folgenden Passagen aus diesem Werk sind typisch für das traditionelle Vorgehen."

"Ein Mann besitzt $10.000 und gründet damit eine Bank. Sein Nachbar deponiert $50.000 bei ihm..... Die Banken wissen aus Erfahrung, dass Kunden etwa soviel Geld einzahlen wie andere Kunden abheben, so dass die $60.000 immer vorhanden sind. Wenn seine eigenen 10.000 $ zusammen [Seite 35] mit seinem guten Ruf in der Öffentlichkeit als Garantie für eine Einlage von $50.000 genügen, dann reichen die jetzt vorhandenen $60.000 für eine weit größere Summe."

Mit dem Kauf von Schuldscheinen und Wechseln, welche erst in der Zukunft fällig werden, erhöht sie die Einlagen und Darlehen um $200.000. Die Einlagen werden jedoch noch um die Diskontierung reduziert, da diese als Gewinn der Bank verbucht werden, im Beispiel um $3.000. Die Bank verdankt den Einlegern und sich selbst $260.000 und besitzt Vermögenswerte, die diesem Wert entsprechen, hat aber nur $60.000 Bargeld in der Kasse. Daraus folgt, dass die Bank etwas hergestellt hat, was als Tauschmittel dient und zwar im Betrag von $197.000. Das ist der Kredit. In der Regel können mit diesem Waren so einfach gekauft werden wie mit Geld, da Schecks aus Sichteinlagen im Handel von allen Teilnehmern akzeptiert werden. Zwischen der Einreichung eines Wechsels und der Einzahlung von Gold besteht jedoch ein Unterschied. Die Einreichung eines Wechsels erzeugt eine Einlage aufgrund eines Kredits und die Einzahlung von Gold eine Einlage basierend auf Bargeld. "In der Praxis können die Bankkredite zu einem bestimmten Zeitpunkt etwa vier- bis fünfmal so hoch sein wie die Menge an Bargeld in der Kasse."

An einem Beispiel zeigt Phillips, wie eine Bank durch eine Darlehenserhöhung ihr Bargeld verliert.

"Nehmen wir an, die Hanover National Bank of New York erwirbt eine Einlage in Höhe von $1.000.000 in Gold und verleiht $10.000.000 ihren Kunden, ein Betrag resultierend aus einem ungefähren Verhältnis von 1 zu 10 zwischen Reserve und Einlage in unserem heutigen Bankensystem. (Das Verhältnis von Bargeld zur Einlage von eins zu vier, wie von White behauptet und fast wörtlich aus Macleods Werk von vor einem halben Jahrhundert übernommen, stellt vermutlich das Verhältnis zu jener Zeit dar.) Die Darlehensnehmer der Hanover National Bank würden nur wenig oder [Seite 38] gar kein Bargeld abheben, aber sicherlich Schecks aus dem hinterlegten Gegenwert ihrer Darlehn bei der Bank ziehen. Die Schecks würden an andere Gläubiger weitergereicht. Nur ein kleiner Teil dieser Schecks würde bei der Hanover National Bank für einen Kredit eingereicht, ohne einen Barabfluß mit sich zu ziehen. Der Größte Teil der Schecks würden von den Gläubigern der $10.000.000 als Gegenwert des Darlehens über das New York clearing house gezogen, manche weitgereist vom ursprünglichen Einlageort. Vielleicht werden nur $100.000 der Schecks bei der Hanover National Bank eingereicht. Den Rest des vielfältigen Darlehens, basierend auf der Goldeinlage und vermutlich außer einem kleinen Anteil von nicht mehr als 20 %, welcher nicht von den Darlehensnehmern mit Schecks gezogen wurde, würde den Teil darstellen, welchen die Bank über die Verrechnungsstelle verlieren würde, ein Betrag, der über das Bankensystem verteilt würde. Es ist klar, dass eine Bank, welche versucht weit über den Zuwachs an Reserven Darlehn zu vergeben, dies auf eigenes Risiko tut."

An dieser Stelle eine Anmerkung. Der beschriebene Sachverhalt sieht keine Darlehenserhöhungen anderer Banken sowie auch keine daraus resultierenden Zahlungen vor. Die geschilderte Situation tritt nur ein, wenn die Hanover National Bank of New York als einzige Bank des Bankensystems ein solches Darlehen gewährt. Es erscheint unlogisch, wenn einerseits Bargeldabflüsse an andere Banken ein funktionierendes Bankensystem voraussetzen, gleichzeitig Darlehenserhöhungen anderer Banken und deren Rückwirkungen, wie in der Realität üblich, ausgeblendet werden.

Neue Theorie

Die Darlehens- und Einlagenerhöhung im Bankensystem wird von Phillips so beschrieben:

Einbanksystem

"Es wäre in jedem Fall klar, dass bei nur einer Bank, in welche alle anderen Banken integriert und das Darlehns- und Einlagengeschäft des ganzen Landes konzentriert wäre, ein Reserve- Einlagen Verhältnis von R beibehalten wird, dass die Nettoeinlagen einer vorgegebenen Bargeldhöhe oder Reserve c, die Institution in die Lage versetzen würde, zusätzlich zu ihrem normalen Betrag folgende Darlehn zu vergeben

Formel01.png

Das ist richtig, da die Einzahlung von Bargeld c selbst auch eine Reserve in Höhe von Rc erfordert, und somit c - Rc als Reserve für die Bildung zusätzlichen Darlehens übrigbleibt."

"Wenn das Verhältnis von Bargeld zu Einlagen durch R ausgedrückt wird und neues Bargeld oder Reserve durch c, die Erhöhung der Einlagen auf der Grundlage von zusätzlichem Bargeld als D, die Erhöhung der Darlehen auf der gleichen Grundlage als X, dann gelten folgende Gleichungen:"

Formel04.png

Der geschilderte Sachverhalt ist kompliziert dargestellt und erschließt sich einfacher, wenn man die Formel logisch von Grund auf aufbaut oder indem man konkrete Zahlen verwendet. Mit


Formel07.png

wird der Zusammenhang einfacher dargestellt. Da die Barreserve und die darauf basierende Einlage Barreserve den gleichen Betrag aufweisen, reduziert sich die Formel zu

Formel08.png

(Vorgenommene Arbeitsschritte: Beide Seiten mit (c+X) multipliziert, durch R dividiert, c auf beiden Seiten subtrahiert, c ausgeklammert.)

Ein Beispiel mit Zahlen sowie dem zugehörigen Bilanzausschnitt verdeutlicht die Verhältnisse noch weiter.

  • c = Bareinzahlung = $10.000
  • R = Verhältnis Barreserve zu Einlagen = 1 zu 10 = 0,1
  • X = Erhöhung der Darlehen aufgrund des zusätzlichen Bargeldes c
  • D = maximale Einlagenerhöhung auf Grundlage von c, bestehend aus Sichteinlage Bargeld und Sichteinlage Darlehen.


In der nebenstehenden
BilanzPhillips.png
Bankbilanz sind nur die zusätzlichen Beträge aufgeführt, welche auf eine Bareinzahlung zurückzuführen sind. Bei einer Bareinzahlung von $10.000 (1.) und einem Verhältnis Barreserve zu Einlage von 1 zu 10 kann die Bank ein zusätzliche Darlehen (2.) bis zu einer Sichteinlage von $100.000 gewähren. Bei der Einzahlung von $10.000 Bargeld entsteht auf der Aktivseite der Bilanz ein zusätzlicher Kassenbestand von $10.000 und gleichzeitig auf der Passivseite der Bilanz eine Sichteinlage des Kunden in Höhe von $10.000. Bis zur Maximalgrenze von $100.000 können also $90.000 als neue Darlehen gewährt werden. Phillips bezeichnet die Sichteinlagen Bargeld (c) als Primäreinlagen und die Sichteinlagen Darlehen als Sekundäreinlagen oder derivate (abgeleitete) Einlagen (X). Mehr ist in den zuvor aufgeführten Formeln nicht enthalten. Die zuletzt von Phillips aufgeführte Formel zeigt die Berechnung für die zusätzlich vergebbaren Darlehen aufgrund einer Bargeldeinzahlung über $10.000. Aus der nebenstehenden Bilanz wird sofort ersichtlich, dass nur $90.000 als zusätzliches Darlehen gewährt werden können. Aber erst eine Formel verleiht der logischen Erkenntnis einen vermeintlich wissenschaftlich fundierten Anstrich. Füllen wir die Formel mit Zahlen wird deutlich, dass es sich um einen ganz einfachen Zusammenhang handelt. X ist die maximal mögliche Darlehensgewährung aufgrund einer Bareinzahlung c.


Formel05.png


Formel06.png

D beinhaltet die maximale Einlagenerhöhung auf Grundlage von c, errechnet nach der vorgenannten Formel oder aber auch, wie aus der Bilanz ersichtlich, den beiden Einlageposten c + X.

Anhand der Darstellung eines einzelnen Darlehens erläutert Phillips den zeitlichen Kontenverlauf. Dabei unterscheidet er streng zwischen einer Primär- und einer Sekundäreinlage.

Die Abbildung 1
Abbildung 1, Einzeldarlehen
zeigt den Verlauf eines Darlehensvorganges. Die Zeit wird entlang der Achse 0 - P aufgetragen. Die senkrechte Achse zeigt den Betrag der gesamten Einlagen eines Kunden an. Unten ist als relativ konstante Größe die Primäreinlage, also die auf einer Bargeldeinzahlung basierende Einlage eingetragen. Zum Zeitpunkt 0 hat der Kunde ein Guthaben von 0-M. Wird eine Darlehen gewährt, beträgt das Guthaben 0-M + M'-K, M'-K ist die Sekundäreinlage. Das Guthaben steht noch einige Tage auf dem Konto bevor es komplett abzogen wird. Auch bei der Rückzahlung wird vor dem Fälligkeitstermin bereits ein Anstieg auf dem Kundenkonto zu sehen sein, um termingerecht den Darlehensbetrag zurückzuzahlen. Nach Rückzahlung fällt das Guthaben wieder auf den Wert P-N.


"Es kann als gesichert festgehalten werden, dass unsere Banken in der Summe ein Verhältnis von Sekundäreinlagen zu Darlehen von etwa 5 bis 20 % besitzen."


"Nachdem eine
Abbildung 2, mehrere Darlehen
Bank sozusagen ihren Rhythmus gefunden hat und ihre Darlehen fällig werden, tendieren die derivaten Einlagen zu einem konstant bleibenden Wert. Das zeigt Abbildung 2, welche eine Serie von derivaten Einlagenkurven, jede ähnlich wie in Abbildung 1 enthalten, darstellt. Hier wird, genau wie in Abbildung 1, die Zeit auf der horizontalen Achse gemessen und die derivaten Einlagen durch den senkrechten Abstand oberhalb der Linie M N."

"Senkrechte Achsen, errichtet an zwei beliebigen Punkten zwischen a und b würden die derivate Einlagenkurve so schneiden, dass die Summe der vertikalen Abstände des Schnittpunktes oberhalb der M N –Linie in beiden Fällen etwa gleich wäre."

Zur besseren Lesbarkeit sind gegenüber dem Original einige Kurven farbig angelegt, sodass ein Verfolgen des Kurvenverlaufs etwas leichter fällt.

Mehrbankensystem

"Unser Verständnis zur Natur der Kreditbankgeschäfte und der Art der primär- und derivativen Einlagen wird uns nun ermöglichen, mit der Entwicklung einer Formel für die Bestimmung des Betrages fortzufahren, den jede Einzelbank eines Systems seinem Darlehens- und Diskontierungsposten, aufgrund einer zusätzlichen Bareinzahlung, hinzufügen kann.

Verwendet werden die folgenden Größen und ihre Abkürzungen:

  • Das zusätzliche Bargeld oder Reserve (c);
  • Überschussreserve, d.h. dass, was eine Bank infolge eines zusätzlichen Darlehens verliert (c1);
  • Darlehenserweiterung infolge zusätzlichen Bargeldes (x);
  • Das Verhältnis von Bargeld oder Reserve zu Einlagen (r);
  • Das Verhältnis von derivaten Einlagen zu Darlehen (k)."

Die entwickelte Formel lautet x = c ( 1 - r ) / ( kr + 1 - k ). Im Beispiel mit c=$1.000, r=0,1 und k=0,2 folgt für x ein Wert von $1.097,56. Wenn also $1.000 an Bargeld eingezahlt werden kann die Bank daraus ein Darlehen in Höhe von $1.097,56 gewähren. Dies bedingt dadurch, dass die Darlehenssumme im Durchschnitt nur zu 80 % von der Bank abgezogen wird. Wird die Darlehenssumme ganz entnommen, d.h. k=0, kann höchstens ein Darlehen von $900 vergeben werden.


In der nebenstehenden
Abbildung 3, Die Verteilung neuer Reserven als Grundlage mehrfacher neuer Darlehen
Abbildung 3 geht Phillips von einem Verhältnis Barreserve zu Sichteinlage von 1 zu 10 und einem Verhältnis Darlehen zu Sekundäreinlage von 1 zu 5 aus. Mit der im letzten Abschnitt gezeigten Formel lassen sich nun sämtliche Werte dieser Darstellung ermitteln. Wird Bargeld (c) in Höhe von $1.000 eingezahlt, kann die Bank ein Darlehen (x) in Höhe von $1.097,56 gewähren. Hiervon werden 80 % entnommen ($878,05), bei der Bank B eingezahlt und bilden somit die Grundlage (c1) für ein Darlehen durch die Bank B. Bei Bank A verbleiben $100 für die Reserve aus der Bareinzahlung sowie weitere $21,95 als Reserve für die 20 % verbleibende Sichteinlage (d) aus dem Darlehen. Dieser Berechnungsvorgang kann nun unendlich oft wiederholt werden.


Die Abbildung 3 berücksichtigt
Abbildung 4, Die Verteilung neuer Reserven als Grundlage mehrfacher neuer Darlehen, bei vollständiger Darlehensauszahlung
"durchschnittliche derivate Einlagen", d-dn, welche offensichtlich Ergebnis der "angelsächsischen Buchungsmethode" sind. Die Multiplikatorformel von Phillips wird in der heutigen Wirtschaftswissenschaft ohne diesen Anteil d-dn angewandt, d.h. man geht davon aus, dass Darlehen auch zu 100 % von der darlehensgebenden Bank, in Form von Bargeld oder Überweisungen an andere Banken, abgezogen werden. Unter dieser Voraussetzung entstehen keine derivaten Einlagen mehr (k=0). Abbildung 3 reduziert sich auf eine vereinfachte, in Abbildung 4 gezeigte, Darstellung. Die Anteile d-dn,"durchschnittliche derivate Einlagen", sind komplett entfallen und die Größe von c2 entspricht exakt der Größe von x1. Damit wird ausgedrückt, das der gesamte Darlehensbetrag x1 in Anspruch genommen wird und sich auch wieder bei der nächsten Bank als Einlage und damit Überschussreserve c2 wiederfindet.

Mit k=0 ergibt sich für die Einzelbank somit nur eine Darlehensmehrung von 90 %, d. h. auf eine Bargeldeinzahlung von $1.000 hin kann die Einzelbank maximal ein Darlehen von $900 gewähren.

Die Tabelle in Abbildung 5 gibt die Werte
Abbildung 5, Tabelle mit Einzel- und Gesamtwerten
von Abbildung 4 in Zahlen wieder. Es wird erkennbar, dass die einzelnen Spalten geometrische Reihen darstellen. In der letzten Zeile sind die Summen der Reiheneinzelwerte aufgeführt.

Der zusätzliche Bargeldbetrag bei Bank A von $1.000 existiert nur für die kurze Zeitspanne zwischen der Bareinzahlung und der folgenden Inanspruchnahme des Darlehens. Danach verbleibt von den $1.000 nur ein Restbetrag von $100 in der Kasse der Bank A. Die Addition dieser, nur jeweils kurze Zeit vorhandenen Bareinzahlungen in der Spalte "Bargeld/Überschussreserve", würde somit keine verwertbare Größe ergeben.
Die Spalte "Neuer Kredit (x)" zeigt die mögliche Darlehenserweiterung auf der Grundlage der einzelnen Bareinzahlungen. Nach einer Bareinlage des Kunden K1 von $1.000 kann Bank A ein Darlehen an den Kunden K2 über $900 gewähren. $100 = 10% aus der Einlage über $1.000 verbleiben bei Bank A als Kassenreserve. Der Betrag von $900 wird von K2 abgehoben und an K3 für den Erhalt einer Ware oder Leistung gezahlt. K3 zahlt die $900 bei Bank B ein und bildet damit bei Bank B eine entsprechende Überschussreserve. Bank B kann nun an den Kunden K4 ein Darlehen über $810 erteilen. Aus der ursprünglichen Bargeldmenge von $1.000 können nach unendlich vielen Wechseln von Bargeldeinzahlungen, Darlehenserteilung mit Kassenreserve, Abhebung der Darlehenssumme und Weiterleitung an einen anderen Kunden, Darlehen in Höhe von insgesamt $9.000 erzeugt werden. Der, bei den einzelnen Banken verbleibende Rest an Bargeld, wird in der Spalte "Kassenreserve" aufgeführt. Die Summe entspricht dem ursprünglich bei Bank A eingezahlten Bargeldbetrag.

Wichtige, jedoch von Phillips nicht weiter beachtete Werte, enthält die Spalte "Primäreinlage (p)". Nach der orthodoxen Kredittheorie handelt es sich dabei nicht um jederzeit fällige Einlagen, nach heutigem Sprachgebrauch "Sichteinlagen", sondern um längerfristig hinterlegte Einlagen, also Termin- und Spareinlagen. Auf die Fristigkeit dieser Einlagen geht Phillips nicht ein. Es könnte deshalb der Eindruck entstehen, dass es sich um jederzeit abrufbare Einlagen, vergleichbar mit den heutigen Giroguthaben handele. Damit das erste Darlehen von der Bank A über $900 vergeben werden kann, muss jedoch zuvor Kunde K1 $1.000 eingezahlt haben und für die Dauer des Darlehens auf die Auszahlung dieses Betrages verzichten. Ebenso muss bei Bank B erst Kunde K3 eine dauerhafte Einlage von $900 vornehmen, bevor diese ein Darlehen von $810 gewähren kann. Es handelt sich bei diesen Einlagen somit eindeutig um Spareinlagen.

Diese Betrachtung geht von der "orthodoxen" Theorie aus. Martin Scheytt:[6]

"Nach der älteren, sog. orthodoxen Auffassung entsteht jede Einlage, jedes Bankguthaben durch eine Geldeinzahlung."

Auch Phillips beschreibt diese Sichtweise eindeutig mit:

"Der Besitz einer Barreserve in nahezu gleicher Höhe wie das neue Darlehen ist eine Voraussetzung zu einem solchen Darlehen. Damit eine Bank ihre Darlehen um einen bestimmten Betrag, $100.000 oder $1.000.000 erhöhen kann ist es wichtig, dass die Bank sich neue Primäreinlagen, von etwa gleicher Größenordnung, beschafft. Daher auch der Kampf um die Primäreinlagen."


Folgt man der orthodoxen Kredittheorie, so ist die Forderung nach einer Bargeldeinzahlung nachvollziehbar. Diese knüpft an die Binsenweisheit an: "Ich kann nur etwas verleihen, was ich tatsächlich auch besitze". Muss ich jedoch nicht dauerhaft im Besitz einer Sache sein, um diese auch verleihen zu können? Diese Frage wird im Abschnitt "Orthodoxe Kredittheorie" untersucht.


Einzelbank im Mehrbankensystem

Die im letzten Abschnitt dargestellten Vorgänge mit Beteiligung von vielen Banken lassen sich auch auf eine Einzelbank übertragen. Dazu führen alle Kunden ihre Konten bei der Bank A. Ansonsten bleiben sämtliche Tabellenwerte und auch sonstigen getätigten Aussagen erhalten. Die Bank A (anstelle B) kann den Kredit über $810 erst erteilen, nachdem Kunde 3 einen Barbetrag von $900 bei ihr längerfristig deponiert hat. Ebenso kann die Bank A (anstelle C) den Kredit über $729 erst erteilen, nachdem Kunde 5 den Betrag von $810 bei ihr fest angelegt hat.

Die Summen betrachtend kann man feststellen, dass die Bank gegenüber ihren Kunden K1, K3, K5 usw. insgesamt Verpflichtungen (Spalte "Primäreinlagen") über $10.000 eingegangen ist, welche sie jedoch erst zum Fälligkeitstag begleichen muss. Diese Kunden haben "Geld" bei der Bank angelegt, sie haben gespart. Bis zum Fälligkeitstag können sie somit der Bank kein Geld abverlangen. Auf der anderen Seite besitzt die Bank Forderungen aus Darlehen in Höhe von $9.000 sowie noch einen Kassenbestand von $1.000. Die Darlehen müssen am Fälligkeitstag von den Kunden K2, K4, K6 usw. zurückgezahlt werden.

Aus Phillips Aussage "Es ist klar, dass eine Bank, welche versucht weit über den Zuwachs an Reserven Darlehn zu vergeben, dies auf eigenes Risiko tut" könnte man folgern, dass dieses Risiko der Einzelbank im Bankensystem insgesamt nicht vorhanden wäre. Tatsächlich verteilt sich das Risiko lediglich auf mehrere Banken, wenn jede Bank nur ein Teildarlehen von den $10.000 ausreicht.

Orthodoxe Kredittheorie

Phillips orientierte sich bei seinen Überlegungen an der orthodoxen Kredittheorie und doch bleibt sein Modell an dieser Stelle unvollständig. Er beschreibt, dass die Bargeldeinzahlung eine Primäreinlage erzeugt, also mit einer Erhöhung des Kassenbestandes der Bank verbunden ist. Erst nach Einzahlung der $1.000 durch den Kunden K1 kann die Bank ein Darlehen über $900 vergeben und auch bar auszahlen. Möchte Kunde K1 jedoch am nächsten Tag seine $1.000 wiederhaben, da er sich zum Beispiel ein besonders günstig angebotenes Auto kaufen möchte, ist die Bank zahlungsunfähig.

Von den eingezahlten $1.000 besitzt sie ja nur noch $100. Zwar hat sie ein Darlehen über $900 an den Kunden K2 erteilt und damit auch eine entsprechende Forderung an diesen, jedoch erhält sie den Darlehensbetrag von $900 erst nach Ablauf der Darlehenslaufzeit zurück. Diesem Problem kann die Bank begegnen, indem sie den Kunden K1 dazu bewegt, seine Einlage für einen längeren Zeitraum bei der Bank zu belassen. Damit hat der Kunde eine Spareinlage getätigt, d. h. er verzichtet für den vereinbarten Zeitraum auf die Auszahlung seines Guthabens. Diese logisch zwingende Voraussetzung wird von Phillips nicht angeführt und doch beinhaltet sie eine, für das Verstehen der orthodoxen Kredittheorie wichtige Erkenntnis. Um die jederzeitige Zahlungsfähigkeit einer Bank zu gewährleisten formulierte Otto Hübner bereits 1853 Grundregeln für die gesicherte Kreditvergabe einer Bank. In leicht abgewandelter Form besagt diese, dass ein Kredit nur vergeben werden soll, wenn zuvor ein Kredit in gleicher Höhe und mit gleicher Laufzeit von der Bank hereingenommen wurde.

Mit der befristeten Bargeldüberlassung hat der Kunde K1 der Bank einen Kredit gegeben. Diesen Kredit reicht die Bank an den Kunden K2 weiter. Die Bank tritt lediglich als Kreditvermittler auf, auch wenn sie praktisch zwei getrennte Verträge abschließt. Es findet keine Geld- oder Kreditschöpfung und auch keine Schöpfung von Sichteinlagen statt. In diesem System ist eine Kreditschöpfung/Geldschöpfung nicht möglich. Die Forderung nach einer dauerhaften Einlage mit gleicher Laufzeit wurde von Phillips nicht genannt, auch wenn diese logisch zwingend erscheint. Er spricht nur davon, dass eine Bank erst im Besitz einer Barreserve sein muss, bevor sie ein neues Darlehen vergeben kann. Ohne die Vereinbarung einer Einlagedauer für die Bargeldeinzahlung geht die Bank jedoch ein hohes Risiko ein, zahlungsunfähig zu werden.

Bodensatztheorie

In seine Formel x = c ( 1 - r ) / ( kr + 1 - k ) bringt Phillips Elemente der Bodensatztheorie ein. Er geht davon aus, dass Darlehen maximal zu 80% von der Bank abgezogen werden. Deshalb könne eine Bank bei Einzahlung von $1.000, einer Barreserve von 10% und einer Abzugsquote von 80% ein Darlehen in Höhe von $1097,56 gewähren. Verlangt nun Kunde K1 seine Einlage zurück, ist die Banken trotzdem zahlungsunfähig. Genau so wäre das Bankensystem zahlungsunfähig, wenn alle Kunden ihre Einlagen zurückfordern würden.
Die ursprünglich von Adolph Wagner 1857 entwickelte Bodensatztheorie geht davon aus, dass zwar ein Kunde sein gesamtes Guthaben abheben kann, es jedoch unwahrscheinlich ist, dass sämtliche Kunden einer Bank ihre Guthaben gleichzeitig auflösen. Der durchschnittlich dauerhaft verbleibende Anteil auf den Girokonten wird als Bodensatz bezeichnet. Ein Kredit mit diesem Betrag kann zusätzlich zum Betrag der festen Einlagen ausgegeben werden, ohne die Bank in Zahlungsschwierigkeiten zu bringen. Damit kann auch ohne vorherige Spareinlage ein Darlehen gewährt werden.
Dieser Bodensatz wird in Phillips Modell jedoch dazu benutzt, den Betrag der möglichen Kredite zu erhöhen, ohne auf die Fristigkeit der zugrunde liegenden Bareinlage einzugehen. Das mögliche Risiko der Bank findet keine Berücksichtigung in seinem Modell.

Antworten zur erwarteten Kritik

In diesem Abschnitt geht Phillips bereits vorsorglich auf die zu erwartende Kritik ein und beschreibt dabei den damaligen Wissensstand recht gut.

"Es wird erwartet, dass sich die Kritik an der in diesem Kapitel entwickelten Theorie auf die Behauptung konzentriert, dass eine einzelne Bank als Folge einer Erhöhung der Bareinlagen, ohne Beeinträchtigung ihrer Barreserve einen Betrag in etwa gleich dem Produkt der Bareinlagenerhöhung und des Einlagen-Barreserve-Verhältnisses ( nicht Barreserve-Einlagen-Verhältnis ) der Bank verleihen kann, diese Behauptung basierend auf der Vorstellung, dass ein neu vergebenes Darlehen keinen Reduzierung an Bargeld verursachen würde, da Schecks, vom Darlehensnehmer auf den Einlagenerlös des neuen Darlehens der ausleihende Bank gezogen, mit Einlagen der darlehensgewährenden Bank, entstehend aus einem vergleichbaren Betrag aus Schecks

  • erhalten von Kunden bei Geschäftstätigkeiten,
  • von anderen Banken gezogen als Ergebnis von Darlehen, welche diese Banken ihren Darlehensnehmern gewährten,

verrechneten.

Vereinfacht ausgedrückt: Die Kritiker behaupten, dass eine einzelne Bank sehr wohl das Mehrfache einer neuen Bareinlage als Darlehen vergeben kann, da ähnliche Vorgänge bei anderen Banken zu einem Ausgleich des Bargeldverlustes über gegenseitige Verrechnung führen.

"Wenn alle Banken ihre Darlehen mit der gleichen Rate erweitern, in Verbindung mit der gleichzeitigen Erhöhung ihrer Reserven, wäre die Behauptung gültig. Aber Erhöhungen der Reserven eines Bankensystems werden, mit Ausnahme von außergewöhnlichsten Fällen, zu einem bestimmten Zeitpunkt, nicht durch die gleichzeitige Einlage von Barmitteln in allen Banken eines Systems getätigt, sondern durch die Einlage von Geldern in nur einem kleinen Teil der Banken, von wo sie über das System verstreut werden."

Zu dieser Zeit war bei Geschäftsbanken im Durchschnitt ein Verhältnis von Sichteinlagen zu Barreserve von 10 zu 1 anzutreffen. Phillips führt dazu als Beispiel (Seite 37) eine Einlage und ein Darlehen bei der Hanover National Bank of New York mit diesem Verhältnis auf. Er bemerkt zu Angaben Macleods und Whites über ein Verhältnis von nur 4 zu 1:

„Das Verhältnis von Bargeld zur Einlage von eins zu vier, wie von White behauptet und fast wörtlich aus Macleods Werk von vor einem halben Jahrhundert übernommen, stellt vermutlich das Verhältnis zu jener Zeit dar. [7]


Phillips kennt also ganz offensichtlich die Gegenargumente zu seiner Theorie, würdigt diese jedoch nicht in seinen Überlegungen. Die Sichtweise der Kritiker, gründend auf tatsächlichen Verhältnissen innerhalb der Banken, wird von ihm als falsch bezeichnet. Aus einem komplexen Gebilde mit zahlreichen Rückwirkungen schneidet er sich wenige Faktoren heraus und bildet mit diesen eine rückwirkungsfreie Steuerfunktion. Dass die Aktion einer einzelnen Bargeldeinzahlung im Bankensystem tatsächlich nie alleine stattfindet, wird nicht beachtet.

Beweise und Folgerungen

An welchen Stellen seiner Beweisführung lassen sich Irrtümer aufdecken und welchen Einfluss haben diese auf seine These?

Kreditrahmen der Einzelbank

Phillips behauptet, dass eine einzelne Bank nach einer Bareinlage nicht in der Lage sei, ein Darlehen weit über der Höhe dieser Bareinlage zu erteilen. In seinem Beispiel kann sie bei einer Erhöhung der Barreserve um $1.000 ein zusätzliches Darlehen von $1.097 gewähren, also knapp 10 % über der Einlage, da im Durchschnitt nicht alle Darlehen komplett abgehoben werden. Ein höheres Darlehen wäre nur mit einem erhöhten Risiko der Bank möglich. Bei der einzelnen Bank geht er von nur einem Vorgang einer Bareinzahlung mit anschließender Darlehensgewährung aus. Anders sieht er die Möglichkeiten des Bankensystems. Diese kann sehr wohl ein Mehrfaches der ursprünglich eingezahlten $1.000 als Darlehen vergeben. Hier lässt er unendlich viele Einzahlungs-/Darlehensvorgänge zu. Lässt man auch bei der einzelnen Bank unendliche viele Vorgänge zu, existiert, wie im Abschnitt Einzelbank im Mehrbankensystem erläutert, kein Unterschied zwischen den Möglichkeiten des Bankensystems und den Möglichkeiten der einzelnen Bank. Der vermeintliche Unterschied ist auf die ungleichen Voraussetzungen zurückzuführen und nicht auf das betrachtete System. Seine Beweisführung muss deshalb als misslungen betrachtet werden.

Kaufkraftwirksame Zahlungsmittel

Angelehnt an die Definition des Geldmengenaggregates M1 besitzen im Wirtschaftskreislauf Bargeld und Guthaben auf Girokonten allgemein anerkannte Kaufkraft. Guthaben auf Girokonten deshalb, weil sie als Sichteinlagen jederzeit in Bargeld umgetauscht, oder für Überweisungen benutzt werden können.

Das Werk "Bank Credit" erweckt den Anschein, dass mittels Bankkrediten zusätzliche kaufkraftfähige Zahlungsmittel entstanden seien. In diesem Punkt bleiben seine Argumentationen zweifelhaft und unvollständig. Da Phillips auf diesen Sachverhalt nicht näher eingeht, kann über seine tatsächlichen Vorstellungen nur spekuliert werden. Folgt er der in sich schlüssigen "orthodoxen Kredittheorie", sind keine zusätzlichen Zahlungsmittel entstanden. Hierzu betrachte man sich die Höhe der Zahlungsmittel bei den "Nichtbanken" in Abbildung 5. Es ist zu erkennen, dass zu Beginn $1.000 Bargeld bei den Nichtbanken zirkulieren. Diese werden bei einer Bank eingezahlt und somit dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Die Primäreinlage des Kunden K1 ist jedoch kein Giroguthaben, sondern in ein Sparguthaben in Höhe von $1.000 gewandelt worden. Erst die Darlehensgewährung über $900 an K2 und dessen Barabhebung des gesamten Darlehensbetrages lassen von den ursprünglich $1.000 wieder $900 in den Wirtschaftskreislauf gelangen. Es folgt ein weiterer Entzug dieser $900 mit einer Freisetzung von nur noch $810. Weiter Vorgänge minimieren die freie Bargeldsumme weiter. Die bei den Nichtbanken ursprünglich vorhandene Geldmenge von $1.000 nimmt kontinuierlich ab und strebt gegen Null. Ein Giroguthaben, welches auch kaufkraftwirksam wäre, existiert nicht, da sämtliche Einlagen als Spareinlagen längerfristig festgelegt sind.

Anders sieht es aus, wenn bei jeder Einzahlung lediglich Sichteinlagen (=Giralgeld) entstehen. Die Spalte "Primäreinlage" in Abbildung 5 enthält die jeweiligen Einzahlungen, welche sich zu einem Gesamtbetrag von $10.000 summieren. Diesen Verpflichtungen der Banken stehen Kreditforderungen in Höhe $9.000 und eine Kassenreserve von $1.000 gegenüber. Verlangt Kunde K1 die Auszahlung seiner Sichteinlage von §1.000 in Bargeld, ist das Bankensystem insgesamt bereits zahlungsunfähig. Die Kassenbestände sämtlicher Banken reichen gerade mal zur Auszahlung des Kunden K1. Konzentrieren sich sämtliche Vorgänge auf eine einzelne Bank, ändert sich an der Zahlungsunfähigkeit nichts. Ohne Spareinlagen, d. h. Kunden verzichten für eine vereinbarte Zeit auf die Inanspruchnahme ihres Sichtguthabens, entsteht ein äußerst labiles Bankensystem. Dieses ist bereits nach wenigen Auszahlungsforderungen von Kunden zahlungsunfähig.

Die mangelhafte Sorgfalt bei der Kreditvergabe von Banken und die daraus folgenden Bankzusammenbrüche waren Auslöser für Otto Hübners Werk, "Die Banken". Dort beschreibt er Regeln zur Verhinderung von Bankinsolvenzen, welche als "Goldene Bankregel" Eingang in die Fachliteratur gefunden haben.

Phillips hatte von der "Goldenen Bankregel" offensichtlich keine Kenntnis. Wie er sich ein funktionierendes Bankensystem mit zahlungsfähigen Banken vorstellte, wird wohl nicht mehr zu ergründen sein. Weitere Spekulationen über seine Auffassung von Geld und Kredit müssen fruchtlos bleiben, da er einen wesentlichen Faktor, das "Sparen" erst gar nicht erwähnte.

Unrealistische Vorgaben

Neben der zuvor genannten Widerlegung seiner These und der Betrachtung der tatsächlich kaufkraftwirksamen Zahlungsmittelmenge, ist seine Aufstellung von fortwährenden Barzahlungseingängen/Darlehensvergaben unrealistisch, da in der Wirtschaft so nie anzutreffen. Er beschreibt in einer Wirtschafts- und Bankenwelt eine Vielzahl von Bankkunden und Banken, lässt für seine Untersuchung der einzelnen Bank indes nur eine Einbahnstraße zu. Über diese verliert die einzelne Bank ausschließlich Barreserven an andere Banken, ohne jemals Zahlungseingänge von diesen verzeichnen zu können. Eine Ausgangskonstellation, die nicht zu tragfähigen Erkenntnissen führen kann.
Auch ist die Addition von unendlich vielen Vorgängen des Bankensystems, welche sich auf einer geometrischen Reihenentwicklung gründen, realitätsfremd. Um zu berechnen, welche Krediterhöhung eine Bank bei Einhaltung einer 10 % Barreserve, bezogen auf die Depositenerhöhung und einer Bareinlage von $1.000 durchführen kann, genügt eine einfache Überlegung. Die Einzahlung von $1.000 erlaubt die Erhöhung der Depositen um insgesamt $10.000. Da die Bareinzahlung bereits selbst ein Depositenguthaben von $1.000 erzeugt, bleiben für die Krediterhöhung noch $9.000.

Echtes Geld

Die, auch von Phillips vertretene „orthodoxe Kredittheorie“, ist heute noch in namhaften Fachpublikationen[4] enthalten und sorgt zusammen mit seiner irrigen Kreditschöpfungstheorie für nachhaltige Verwirrungen. Teilweise ist sie auf die damalige Auffassung von Geld als etwas Gegenständlichem zurückzuführen. „Echtes Geld“ bestand damals noch aus werthaltigen Gold- und Silbermünzen. Die Entstehung von Bankguthaben, ohne den entsprechenden Einsatz von Bargeld, war kaum denkbar. Zwar hat schon White in seinem Buch „Money and Banking“ versucht, den Unterschied zwischen „realem Geld „ und dem „Versprechen Geld zu zahlen“ herauszuarbeiten, jedoch ohne nachhaltige Beachtung. Er sagte: Den Unterschied zwischen „realem Geld“ und dem „Versprechen Geld zu zahlen“ kann man vergleichen mit einem Essen und einem Essensgutschein oder einem Drink und einem Bon für einen Drink. Eine zur Zeit des Goldstandards nachvollziehbare Forderung. Für jede Banknote sollte auch das Versprechen, diese gegen die auf der Note angegebene "echte Geldmenge" einzutauschen, vom Aussteller der Banknote eingehalten werden.

Voraussetzung Bargeld

Viele Autoren von Grundwerken zu unserem Geldsystem glauben immer noch, das Geld ein Ding sein muss. Etwas weiter sind schon die Banken. In ihren Bilanzen werden Werte notiert, die überwiegend aus Forderungen und Verbindlichkeiten bestehen. In der "Dingwelt" war auch Phillips beheimatet. Das Bargeld ist erforderlich, wenn der Darlehensnehmer sich den Darlehensbetrag bar auszahlen lässt. Auf die Folgen für die Bank, wenn diese den Bargeldeinzahler nicht zum Sparen bewegen konnte, wurden im Abschnitt "Kaufkraftwirksame Zahlungsmittel" eingegangen.

Die von Phillips aufgeführten Beispiele beschreiben, dass zum Entstehen von Einlagen und Darlehen immer Bargeld benötigt wird. Aber es geht auch weitgehend ohne Bargeld. Kunde K1 zahlt $1.000 bei der Bank als Spareinlage ein. Damit ist die Bank im Besitz einer entsprechenden Barreserve und kann theoretisch, gemäß dem geforderten Verhältnis Barreserve zu Einlagen von 1 zu 10 weitere $9.000 an Darlehen vergeben.

Kunde K11 ist Hersteller
Abbildung 6, Die Einschaltung einer Bank in ein privates Darlehensverhältnis
von Landmaschinen und verkauft dem Bankkunden K12 ein Ackergerät für $9.000. Da Kunde K12 erst nach der Ernte zahlen kann, vereinbaren beide eine Frist von 6 Monaten zur Begleichung der Rechnung. Kunde K11 hat damit einen Kredit mit einer Laufzeit von 6 Monaten eingeräumt. Beide möchten zur Vereinfachung der Abrechnung und Absicherung nun eine Bank mit einschalten. Kunde K12 nimmt bei der Bank ein Darlehen
Abbildung 7, Die Entstehung eines Darlehens ohne mehrfache Bargeldeinzahlungen
über $9.000 auf und muss dieses nach 6 Monaten zurückzahlen. K11 erhält bei der Bank ein Guthaben über diese $9.000 und verpflichtet sich, dieses Guthaben für die nächsten 6 Monaten nicht in Anspruch zu nehmen. Er hat jetzt der Bank ein Darlehen gewährt. K11 ist Gläubiger und K12 ist Schuldner geblieben. Lediglich der Geschäftspartner wurde ausgewechselt. Es ist nun jeweils die Bank.

Ein Blick auf die Bilanzsummen der Abbildung 7 zeigt, dass kein Unterschied zu der Konstruktion mit vielfachen Bargeld-/Darlehenswechsel im Bankensystem gemäß der Tabelle in Abbildung 5 besteht.

Nicht die Anzahl oder Höhe der Bargeld-/Darlehenswechsel ist maßgebend für die Entstehung eines Darlehens, sondern die Bereitschaft eines Kunden, auf die Nutzung seines „Geldes“, oder besser gesagt seiner Forderung in gleicher Höhe, für die Darlehenszeit zu verzichten.

Die Bargeldeinzahlung von $1.000 hat nur eine Daseinsberechtigung, die Erfüllung des Verhältnis von Barreserve zu Einlage von 1 zu 10. Die von Phillips dargestellten unendlich vielen Bargeld-/Darlehenswechsel sind reine Pseudovorgänge zur Unterstützung der orthodoxen Kredittheorie "Jede Einlage, jedes Bankguthaben entsteht durch eine Geldeinzahlung". Würde die Forderung nach einer 10 % Barreserve nicht bestehen, könnte die Abwicklung des Landmaschinenkaufs auch ohne Bargeld vorgenommen werden. Die erste Zeile in Abbildung 7 würde lediglich entfallen. Wie aus diesem Beispiel ersichtlich, ist seine Forderung nach einer mehrfachen Bargeldeinzahlung für die Entstehung eines Kredites über $9.000 nicht maßgebend. Seine vermeintliche Beweisführung enthält nur überflüssige und irreführende Pseudovorgänge.

Benutzt man die im Bankbetrieb üblichen Begriffe Forderungen und Verbindlichkeiten, erschließt sich der Sachverhalt bedeutend einfacher. In die privat entstandene Kreditbeziehung hat sich die Bank eingeschaltet und besitzt nun eine Forderung gegen den Kunden K12 und eine Verbindlichkeit gegenüber dem Kunden K11. Ohne auf die jeweiligen Fristen einzugehen kann aus der Bilanz nicht abgelesen werden, ob die Bank nicht bereits morgen schon zahlungsunfähig ist. Otto Hübners "Goldene Bankregel", welche als Ursprung der heutigen Liquiditätsverordnung anzusehen ist, hatte genau diese fatale Missachtung von Fristen zum Inhalt.

Ein Kredit soll nur vergeben werden, wenn zuvor eine dauerhafte Einlage in gleicher Höhe und mit gleicher Laufzeit von der Bank hereingenommen wurde. Hübner wörtlich: "man kann nicht den langen Credit geben, wenn man nur den kurzen empfangen hat, ohne Gefahr zu laufen, den letzteren nicht zurückgeben zu können."

Hier ist vordergründig von Kredit und Fristen die Rede und nicht von Geld.

Zusammenfassung

  • Phillips These, dass eine Einzelbank nicht in der Lage sei, ein Mehrfaches des eingezahlten Bargeldbetrages als Kredit auszureichen, erweist sich als unzutreffend. Die Einzelbank kann ebenso wie das Bankensystem ein Vielfaches des eingezahlten Bargeldbetrages als Kredit vergeben. Die bei wissenschaftlichen Arbeiten übliche Forderung nach "ansonsten gleichen Bedingungen" (ceteris paribus) findet bei seinen Vergleichen keine Anwendung.
  • Die Annahme mehrfacher Wechsel von Bargeldeinzahlung, Kreditvergabe und Bargeldauszahlung ist realitätsfremd und bringt gegenüber einer einzigen Bargeldeinzahlung mit Kreditvergabe keinen Erkenntnisgewinn.
  • Sein Modell der Kreditvergabe ist unvollständig, da eine eindeutigen Zuordnung der Bareinzahlungen zu Sichtguthaben oder Sparguthaben fehlt. Sind es Sichtguthaben wird sein Modell unweigerlich zu einem Bankzusammenbruch führen. Bei der Betrachtung als Sparguthaben findet lediglich eine Vermittlung von Krediten durch die Banken statt. Nach Ablauf der unzähligen Bargeldeinzahlungen befindet sich sämtliches Bargeld im Besitz der Banken und die reale Wirtschaft besitzt kein Geld mehr. Aus seinem unvollständigen Modell kann keine verwertbare Erkenntnis für unser heutiges Kreditgeldsystem gewonnen werden.
  • Die Übernahme seiner irreführenden Multiplikatorformel in die Lehrinhalte von Hochschulen bleibt ein Rätsel.

Siehe auch:

Einzelnachweise

  1. Chester Arthur Phillips: Bank Credit: A Study of the Principles and Factors Underlying Advances Made by Banks To Borrowers. The Macmillian Company, New York 1931.
  2. Bernd Senf: Der Nebel um das Geld. 10 Auflage. Verlag für Sozialökonomie, Gauke GmbH, Kiel 2009, ISBN 978-3-87998-456-5. Seite 158 - 166
  3. Friedrich A. Lutz, (* 29. Dezember 1901 in Saarburg; † 4. Dezember 1975 in Zürich), verfasste 1970 im "Weltwirtschaftlichen Archiv", der "Zeitschrift des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel", Band 104, Seite 3-19, einen Aufsatz zum Thema "Geldschaffung durch die Banken".
  4. 4,0 4,1 Geld und Geldpolitik Schülerbuch der Bundesbank
  5. Bank Credit: A Study of the Principles and Factors Underlying Advances Made by Banks To Borrowers vom Ludwig von Mises Institute
  6. Martin Scheytt: Theoretische Grundlagen der bankgeschäftlichen Kreditgewährung. 1 Auflage. Duncker & Humblot, Berlin 1962, ISBN 3-428-01292-5.
  7. Phillips veröffentlichte sein Buch 1920 und bezog sich auf Henry Dunning Macleod (* 1821 in Edinburgh; † 1902) und sein Buch “Theory and Practice of Banking”[1] aus dem Jahr 1856 sowie auf Horace White, (* 1834 in Colebrook, New Hampshire; † 1916) und sein Buch “Money and Banking” [2]aus dem Jahre 1902"