Helmut Creutz: Versteckte Geldschöpfung

Aus um-bruch
Version vom 29. November 2013, 05:23 Uhr von ::1 (Diskussion)

(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Versteckte Buchgeldschöpfung

Zahlt ein Kunde Bargeld auf sein Konto ein, so wandert dieses Bargeld in den Tresor der Bank. Im Gegenzug erhält der Kunde den eingezahlten Betrag auf seinem Girokonto gutgeschrieben. Im Tresor der Bank würde sich mit der Zeit eine große Menge Bargeld ansammeln, welches zum Teil nie bewegt würde. Wie bereits in der Frühzeit der Bankgeschichte geschehen, konnte noch keine Bank der Versuchung widerstehen, das eingelagerte Geld der Kunden für eigene Geschäfte zu verwenden. Damals handelte es sich um Goldmünzen, für die Zettel (Banknoten) ausgegeben oder Bankeinlagen gutgeschrieben wurden. Dies geschah jedoch nicht im Verhältnis 1:1 sondern es wurden mehr Berechtigungen (Zettel, Banknoten, Sichteinlagen) ausgestellt als Barvermögen vorhanden war. Die Bank von England startete 1694 mit einem Verhältnis von etwa 1:2. Noch im 19. Jahrhundert galt die Dritteldeckung, das heißt ein Verhältnis von 1:3, als äußerst seriös und wurde auch 1875 gesetzlich verankert. [1] Das diese Nutzung einen Missbrauch darstellte, erkannte man noch Anfang des 20.Jahrhunderts eindeutig.[2].

"Aus der ursprünglich von B. zum Teil nur mißbräuchlich geschehenen Verwertung der hinterlegten Beträge entwickelte sich .........."

Dieses zweifelhafte Verhalten der Banken ist heute ganz aus dem Blickfeld verschwunden. Auch wenn sich die Deckung damals auf das Verhältnis zwischen hinterlegten Goldmünzen und Banknoten bzw. Sichtguthaben bezog, ist das heutige Verhältnis von Bargeld zu Sichtguthaben von der Sache her vergleichbar. Das Verhältnis beträgt heute jedoch etwa 1:90, dass heißt, bei der Bank bilden 1 € Barreserve die Deckung für 90 € Sichtguthaben.[3] [4]

Was erscheint jetzt so verwerflich an dieser Praxis, die offensichtlich problemlos funktioniert?
Ein Beispiel mit ähnlichem Sachverhalt aus der heutigen Wirtschaftswelt kann diese missbräuchliche Verwendung erklären. Ein Unternehmer möchte eine neue Produktionsmaschine kaufen und benötigt dazu noch Geld, welches er sich bei seiner Bank leiht. Als Pfand überträgt er ihr schriftlich das Eigentum an der neuen Maschine. Da die Kreditsumme jedoch immer noch nicht zum Kauf der Maschine reicht, geht er zu einer zweiten Bank und bittet um einen Kredit. Auch dieser Bank sichert er schriftlich das Eigentum an der neuen Maschine zu. Gleichermaßen verfährt er mit einer dritten Bank. Auch ohne genaue Kenntnis der Rechtslage würde man dieses Vorgehen als Betrug bezeichnen. Solange er jedoch seine Zins- und Tilgungszahlungen regelmäßig leistet, wird niemand auf diesen Betrug aufmerksam. Sind alle Schulden getilgt ist auch dieser Missbrauch der Eigentumsrechte nicht mehr sichtbar. Erst wenn er zahlungsunfähig wird, fällt der Schwindel auf. Ähnlich gehen die Banken bei der Geldschöpfung vor. Das Eigentumsrecht an dem vorhandenen Bargeld wird mehrfach verkauft. Eine gesetzliche Regelung, dass dies als Betrug zu ahnden sei, existiert jedoch offensichtlich nicht. Im Gegensatz zu dem Unternehmer erhält die Bank jedoch bei jedem Verkauf von Berechtigungen ein Anrecht auf Zinszahlungen des Käufers.

Bodensatz

Die zuvor beschriebene mehrfache Verwendung des eingelagerten Bargeldes führte schließlich zur sogenannten Bodensatztheorie. Die Sichteinlagen der Bankkunden sind grundsätzlich jederzeit auf Anforderung an den Kunden auszuzahlen, daher stammt ja auch die "Einlage auf Sicht". Hierzu müsste die Bank somit jederzeit den vollen Betrag der Sichteinlagen im Tresor als Bargeld vorhalten. Wie zuvor erläutert verbleibt indes ein Großteil dieser Einlagen auf den Sichtkonten, sodass im Durchschnitt von einer erheblichen Summe nicht in Anspruch genommener Sichtguthaben ausgegangen werden kann. Diesen Anteil bezeichnet man als Bodensatz. Bei einem Bodensatz in Höhe von 2/3 der Sichteinlagen werden von 900.000 € Sichteinlagen maximal 300.0000 € für den Zahlungsverkehr verwendet. Da 600.000 € nicht benötigt werden, kann der Bargeldbestand entsprechend verringert werden.

Schöpfung von Sichteinlagen

Durch den sich bildenden Bodensatz wird nicht alles eingelagerte Bargeld für den Geschäftsbetrieb benötigt. Das Beispiel Geldschöpfung der Girobanken zeigt die Möglichkeiten der Geldvermehrung. 100.000 Bankgulden (Giralgeld) sind durch 100.000 Münzgulden aus Gold im Tresor der Bank gedeckt. Werden nun 50.000 Münzgulden aus dem Tresor der Bank entfernt, besteht keine volle Deckung mehr. Jetzt müssten auch die Bankgulden um 50.000 verringert werden. Geschieht dies nicht, sind 50.000 Bankgulden ohne Deckung entstanden. Sie wurden "geschöpft".

Creutz beschreibt genau diesen Vorgang auf Seite 61 unter "Welche Folgen hat eine Zunahme der Guthabenübertragungen für die Banken?" Er sieht mehrere Vorteile bei steigendem bargeldlosem Zahlungsverkehr.

"Einmal können sie mit dem überflüssig werdenden Bargeld ihre zinspflichtigen Schulden bei der Notenbank und damit ihre Kosten reduzieren."

Da das Bargeld bei den Geschäftsbanken reduziert wird bei gleichbleibendem Guthabenstand, entsteht ungedecktes Sichtguthaben. Creutz weiter:

"Und zum vierten erhöhen sich mit den vergrößerten Sichtguthabenbeständen die Kreditgewährungsmöglichkeiten der Banken und damit ihre Einnahmen aus dem Zinsgeschäft."
"Obwohl sich durch die Benutzung von Sichtguthaben für den Einkommensbezieher keine Kaufkraftveränderung ergibt, ergibt sich also in der Gesamtwirtschaft ein zusätzliches Nachfragepotenzial über Kredite. Denn während die gehaltenen Geldscheine zwischen Erhalt und Weitergabe von keinem anderen genutzt werden können, kann die Bank die gehaltenen Sichtguthabenbestände zwischenzeitlich ausleihen. Das heißt, Sichtguthabenbestände werden effektiver genutzt als das Geld. Eine vergleichbare Nutzung beim Geld ergäbe sich, wenn jeder Halter eines Geldscheines diesen zwischen Einnahme und Ausgabe verleihen würde."


Die Zusammenhänge werden in der Tabelle nochmals verdeutlicht.

Fall Vorgang Bargeld Sichteinlage
A Einzahlung Bargeld, 900.000 € 900.000 € 900.000 €
Rückzahlung an Zentralbank, 600.000 € 300.000 € 900.000 €
B Einzahlung Bargeld, 300.000 € 300.000 € 300.000 €
zusätzliche Kreditgewährung, 600.000 € 300.000 € 900.000 €
Endstand der Bilanz jeweils: 300.000 € 900.000 €

Im Fall "A" zahlt die Bank "überflüssiges Bargeld" an die Zentralbank zurück und mindert damit ihre Zinskosten. Zusätzliche Kredite gewährt die Bank im Fall "B" und erhöht zugleich ihre Zinseinnahmen. Wesentlich bleibt, dass das ursprüngliche Verhältnis von Bargeld zu Sichteinlagen von 1:1 aufgegeben wurde zugunsten eines als ausreichend erachteten Verhältnisses von 1:3. Fakt bleibt jedoch, dass in beiden Fällen zwei Drittel der Sichteinlagen keine Deckung mehr besitzen, sie wurden geschöpft.

Die Entstehung von ungedecktem Sichtguthaben wird allgemein als "Giralgeldschöpfung" bezeichnet.

Information icon4.svg Weitere Details mit Bilanzausschnitten


Kritik

Eine Schöpfung von zusätzlichen, kaufkraftwirksamen Zahlungsmitteln wird von Creutz beschrieben, jedoch nicht als Geldschöpfung erkannt. Er bezeichnet sie stattdessen als "Rückzahlung von überflüssigem Bargeld an die Zentralbank" oder aber als "Erhöhung der Kreditgewährungsmöglichkeiten der Banken" und damit eine "Effektivitätssteigerung in der Geldnutzung" (Seite 62).

Einzelnachweis

  1. Die Obergrenze der Notenausgabe wurde durch die Vorschrift der Dritteldeckung der Noten durch Gold und Reichkassenscheine festgelegt. Bankgesetz vom 14. März 1875, § 44, Abs. 3 auf Wikisource
  2. Brockhaus' Konversationslexikon, Band 2, Banken, Seite 372
  3. Konsolidierte Gesamtbilanz für alle deutschen Banken, Februar 2012 aus Schülerbuch "Geld und Geldpolitik", Ausgabe 2012. Täglich fällige Sichtguthaben 1.293,3 Mrd. €, Barreserve 65,2 Mrd. €, wobei in der Barreseve auch noch Zentralbank-Buchgeld enthalten ist.
  4. Bankenstatistik Februar 2013, Statistisches Beiheft 1 zum Monatsbericht I. Banken (MFIs) in Deutschland, Seite 6 ff. Für Februar 2012, Kassenbestand 14.429 Mrd. €, Guthaben bei Zentralnotenbank 50.794 Mrd. €.