Das Geldrätsel: Clearing und Settlement

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Wie im letzten Abschnitt beschrieben mussten die Bankboten der Londoner Banken jeden Tag mehrfach zwischen den Banken hin- und hereilen, um die Scheckbeträge einzuziehen. Der Banklegende nach trafen sich im Jahr 1770 zwei abgehetzte Bankboten zufällig zur Mittagspause im Wirtshaus "Five Bells" bei einem Bier. Die beiden stellten fest, dass es doch viel einfacher wäre, sich jeden Tag im "Five Bells" zu treffen, ihre Schecks hier aufzurechnen, auszutauschen und die Restforderungen auszugleichen. Boten der anderen Banken schlossen sich schnell diesen täglichen Treffen an. So entstand schließlich eine perfektionierte Verrechnung gegenseitiger Forderungen.

In einem ersten Schritt trugen die Bankboten nur ihre jeweiligen Scheckforderungen vor und verrechneten diese mit den Forderungen der anderen Banken.[1][2] In der nachfolgenden Tabelle werden beispielhaft 5 Schecks der Banken A, B und C verrechnet.


Bank A Bank B Bank C Scheckbetrag
(britische Pfund, £)
Scheck 1 -100 +100 +100
Scheck 2 -120 +120 +120
Scheck 3 +200 -200 +200
Scheck 4 +240 -240 +240
Scheck 5 -60 +60 +60
Clearing -40 +60 -20 720

Der erste Scheck stammt aus dem zuvor genannten Beispiel. Arthurs Scheck über £100 würde bei der Bank A eine Minderung der Kasse um den Scheckbetrag und bei der Bank B eine entsprechende Erhöhung des Kassenbestandes bewirken. Von anderen Kunden werden weitere Schecks zur Gutschrift auf den jeweiligen Kundenkonten eingereicht. Die Tabelle bildet nicht die einzelnen Kundenkonten ab, sondern nur den Zahlungsverkehr zwischen den Banken. Würde jeder Scheck einzeln ausgezahlt, so hätte Bank A Kasseneinnahmen in Höhe von £240 und Kassenausgaben in Höhe von £100 + £120 + £60 = £280. Aus der Addition von Ausgaben und Einnahmen ergibt sich ein Differenzbetrag von £40. Statt nun jede Scheckforderung einzeln zu begleichen würde das gleiche Ergebnis erzielt, wenn am Ende des Tages Bank A nur £40 in einen Topf zahlte. Gleichermaßen müsste Bank C £20 in diesen Topf einzahlen. Bank B erhielte in dem Beispiel die £60 aus diesem Topf.

Der tatsächliche Austausch der Schecks und der errechneten Tagessummen in bar, geschah in einem zweiten Schritt. Hierzu trafen sich die Bankboten ein zweites Mal am späten Nachmittag im Five Bells.

Eine Besonderheit stellte die Bildung eines gemeinsamen Topfes dar. Die Bank A wusste zum Beispiel, dass sie am Ende des Tages £40 zu zahlen hatte. Dies konnte sie leicht aus eingehenden und ausgehenden Schecks errechnen. Da ihr aber nicht bekannt war, welche Schecks zwischen den Banken B und C verrechnet wurden, fehlte ihr die Information, an wen sie diese £40 zahlen sollte. Ebenso erging es den Banken B und C. Bank C sollte £20 zahlen und Bank B wollte £60 erhalten, wussten aber nicht an wen bzw. von wem. Dies Information besaß nur der Verwalter der Tabelle im Five Bells. Zum Abschluss der Verrechnung überreichte jede Bank ihre Schecks dem Verwalter, und musste die negativen Salden in einen Topf einzahlen. Daraufhin konnte der Verwalter jeder Bank ihre eigenen Schecks zurückgeben und aus den erhaltenen Beträgen der Banken A und C der Bank B £60 auszahlen. Damit bestanden unter den beteiligten Banken keine Schulden und auch keine Guthaben mehr. Auch der gemeinsame Topf war leer.

Zahlungen im Betrag von insgesamt £720 wurden mit £60 Bargeld abgewickelt. In der Reduzierung des erforderlichen Bargeldvolumens lag der eigentliche Vorteil dieser Verrechnungsmethode.

Für die Ermittlung der zu zahlenden Tagesbeträge, hat sich der Begriff "Clearing" und für den anschließenden Ausgleich der Begriff "Settlement" eingebürgert. Die Tagesendbeträge werden "Salden" genannt.

Brutto- und Nettoabwicklung

Bei Überweisungen wird heute unterschieden zwischen einer Brutto- und Nettoabwicklung. An dem zuvor aufgeführten Beispiel lässt sich der Unterschied gut erläutern.

Bei der Bruttoabwicklung wird sofort nach Vorlage einer Scheckforderung durch Bankboten die Forderung in bar beglichen. Bei der Barauszahlung wird das Konto von Arthur direkt belastet und nach Eingang des Betrages bei der Bank B, Bens Konto gutgeschrieben. Es muss nicht erst die Verrechnung sämtlicher Tagesvorgänge abgewartet werden. Diese Art der Abwicklung wird heute im RTGS-Verfahren (Real Time Gross Settlement) z. B. bei Target2 Überweisungen angewandt. Es handelt sich dabei überwiegend um Euro-Großbetragszahlungen. Da heute Forderungen nicht mehr durch Bankboten eingetrieben werden sondern dies durch Überweisungen in EDV-Netzwerken geschieht, reduziert sich die Übertragung des Ausgleichs auf eine Zeitspanne im Sekunden-Bereich. Da diese RTGS-Überweisungen sofort endgültig sind, verfügt die Bank über eine größere Sicherheit bezüglich ihrer Geldbewirtschaftung. Beim RTGS-Verfahren spricht man auch vom "Individual-Zahlungsverkehr", jede Überweisung wird einzeln komplett abgearbeitet.


Anders sieht es bei der Nettoabwicklung aus. Die Forderungen werden vorgelegt, jedoch noch nicht beglichen. Jede Forderung wird in eine Tabelle eingetragen. Nur derjenige, der die Tabelle führt, weiß um die Guthaben oder Schulden von allen Beteiligten und kann die Verrechnung vornehmen. Es muss deshalb unterschieden werden, ob an dieser Nettoabwicklung nur zwei oder mehrere Banken beteiligt sind. Bei nur zwei Banken hat jede Bank die volle Information über sämtliche Verbindlichkeiten und Forderungen. Eine dritte Stelle zur Verrechnung ist nicht erforderlich. Am Ende des Tages wird einfach nur der Saldobetrag ausgeglichen.

Bei mehr als zwei beteiligten Banken müsste eine Bank mit der Aufgabe von Clearing und Settlement und damit dem Führen der Tabelle, betraut werden. Aus Datenschutzgründen, die Tabelle enthält ja auch Zahlungsinformationen welche mit dieser Bank nichts zu tun haben, wird jedoch eine vertrauenswürdige dritte Stelle mit dieser Verrechnung beauftragt. Diese Verrechnungsstelle wird Clearingstelle oder auch Clearinghouse genannt. Zum täglichen Clearingtermin wird eine Verrechnung zwischen allen beteiligten Banken vorgenommen. Erst in einem zweiten Schritt, dem Ausgleich der Salden, werden die Überweisungen endgültig. Negative Salden sind auf ein Sammelkonto der Clearingstelle, im Beispiel von London in den gemeinsamen Topf, einzuzahlen.[3] Danach wird von der Clearingstelle jedes positive Saldo aus diesem Sammelkonto ausgeglichen. Hierzu werden Einzelüberweisungen an die jeweiligen Banken vorgenommen. Sämtliche anstehenden Forderungen sind dann ausgeglichen. Diese Art der Aufrechnung wird überwiegend im Bereich von geringeren Überweisungsbeträgen, jedoch einer hohen Anzahl an Vorgängen, angewandt.[4] Es wird dann vom "Massenzahlungsverkehr" gesprochen.[5]


Bank von England

Die Bank von England, 1694 gegründet, trat erst 100 Jahre nach der Gründung des Clearinghouses im Five Bells dieser Vereinigung bei. Das Clearinghouse verfügte mittlerweile über ein eigenständiges Gebäude in der Lombard Street. Wurde anfangs das Settlement noch in cash, dass heißt in klingender Münze vorgenommen, so ging man bald zu den leichter zu transportierenden Banknoten der Bank von England über. Diese besaßen mittlerweile ein ähnlich hohes Vertrauen wie die Goldmünzen. Ein Meilenstein in der Entwicklung wurde schließlich mit der Einrichtung von Bankkonten für jede Clearinghouse-Mitgliedsbank bei der Bank von England , erreicht. Auch das Clearinghouse selbst besaß ein Konto bei der Bank von England. Die Banken mit Saldo-Schulden mussten den Ausgleichsbetrag auf das Konto des Clearinghouses überweisen. Danach erhielten die Banken mit Saldo-Guthaben den ihnen zustehenden Betrag auf ihre jeweiligen Konten bei der Bank von England überwiesen. Die Bankboten (walk clerks) waren für die Zahlungen nicht mehr erforderlich, da der Ausgleich komplett bargeldlos abgewickelt wurde. Die Bank von England wurde zum Vorbild bei der Gründung von Zentralbanken in vielen anderen Ländern der Welt.

Clearing und Settlement heute

An der zuvor geschilderten Entwicklung der Bank von England wird gezeigt, dass die Einrichtung einer Zentralbank für die Verrechnung von Forderungen unter den Banken nicht zwingend erforderlich ist. Es muss nur eine Verrechnungseinheit definiert werden, welche von allen beteiligten Banken akzeptiert wird. Zur praktischen Abwicklung ist eine dritte, neutrale Stelle erforderlich, welche jedoch auch privat, in Form eines Clearinghouses organisiert sein kann. Die heutige "Euro Banking Association"[6] (EBA) ist eine solche private Einrichtung, getragen von Banken der Eurozone.

Neben dem zuvor erläuterten multilateralen Clearing und Settlement nimmt im außereuropäischen länderübergreifenden Zahlungsverkehr das bilaterale Clearing und Settlement zwischen Geschäftsbanken einen hohen Stellenwert ein. Die beiden beteiligten Banken werden als Korrespondenzbanken bezeichnet. Zum Tagesende werden die zwischen den beiden Banken anstehenden Forderungen aufgerechnet und der Saldo entweder angeschrieben oder aber durch eine Zahlung ausgeglichen.

Clearing und Settlement beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Bankensektor sondern findet auch multilateral und bilateral im Wertpapierhandel (Clearstream, Euroclear) sowie zwischen Handelspartnern aus der Wirtschaft statt.



Einzelnachweise

  1. Full text of "The bankers' clearing house, what it is and what it does", Abruf 18. Aug. 2014
  2. It's farewell to the cheque as cards rule, Abruf 18. Aug. 2014
  3. Bei der EURO1 Verarbeitung der EBA wird diese Einzahlung durch eine automatische Abbuchung der Clearingstelle vorgenommen. Settlementprozess, Abruf 15.08.2014
  4. Eine Ausnahme bildet Euro1 der EBA, für Euro-Großbetragszahlungen im Nettingverfahren. Abruf 09.08.2014
  5. Elektronischer Massenzahlungsverkehr (EMZ), Abruf 09.08.2014 und EBA, Step2, Abruf 09.08.2014
  6. Euro Banking Association, Abruf 16.12.2014